Post by Esra Polat on Jun 25, 2016 8:51:03 GMT
Die französische Originalausgabe trägt den Titel "Atme". Warum haben Sie Ihren Roman so genannt?
Weil in diesem Buch ums Atmen geht. In Wahrheit wird Charlène von Sarah erstickt. Außerdem gebe ich damit dem Leser einen Hinweis, den Rat, weiterzuatmen und sich die Geschichte nicht Herzen zu nehmen. Dieser Titel fiel mir auch nicht auf Anhieb ein, vielmehr kam er mir nach und nach in den Sinn, als die Geschichte während des Schreibens immer bedrückender wurde.
Auf welche Weise ist "Dich schlafen sehen" entstanden?
Das Schreiben ging ziemlich schnell, ungefähr zwei Monate. Ich bin in die Schule gegangen, fühlte mich aber wie in einer Luftblase abgekapselt.
Müssen Sie nicht selbst eine düstere Ader in sich tragen, um so ein tragisches Buch zu schreiben?
Ja und nein. Ich bin kein unglücklicher Mensch, und dennoch habe ich alle meine dunklen Seiten Charlène auf den Leib geschrieben. Vielleicht wäre auch ich gewalttätig geworden, wenn ich nicht zu schreiben begonnen hätte. Schreiben ist ein Ausweg.
Gibt es bestimmte Themen, über die junge Schriftsteller gerne schreiben? Oder anders gefragt: Warum geht es bei jungen Autoren so oft um die Jugend?
Oh, das weiß ich nicht. Aber ich glaube, man kann nur über seine Erfahrungen schreiben. Deshalb schreiben jüngere Autoren gern über Adoleszenz. Ich kann mich nur schwer in einen 40-Jährigen hineinversetzen oder über etwas schreiben, was ich gar nicht kenne. Das limitiert natürlich ein bisschen die Möglichkeiten.
Diese Beziehung ist sehr eng, vor allem für Charlène, die geradezu besessen von Sarah ist. Warum spielt Sexualität zwischen den beiden trotzdem gar keine Rolle?
Es gibt ja eine erotische Anziehungskraft zwischen den beiden. Aber es kam mir nie in den Sinn, da mehr daraus zu machen. Ich habe das Manuskript ganz am Anfang mal einem Schriftsteller gegeben und er hat mir vorgeschlagen, da expliziter zu werden, aber das wollte ich nicht. Zum Teil, weil ich selber prüde bin, zum Teil, weil ich nicht über etwas schreiben will, was ich gar nicht kenne.
Warum wolltest du genau diese Geschichte schreiben?
Ich weiß nicht, wie das kam. Es gab keinen bestimmten Moment, wo ich das beschlossen habe, es ist einfach passiert. Ich hatte schon länger überlegt, etwas über eine junge Mörderin zu schreiben.
Dass du über dein Alter vermarktet wirst, wie findest du das?
Das stimmt schon, das hat mich am Anfang genervt, dass ich das Etikett "die neue Francoise Sagan", "das junge literarische Genie" und so weiter bekam. Ich wurde immer mit irgendwem verglichen. Aber auch wenn mein Alter als Verkaufsargument benutzt wird, liest man das Buch doch als solches! Bis jetzt - in Frankreich - wurde "Dich schlafen sehen" zum Großteil einfach so gelesen und besprochen, einfach als Text.
Willst du weiter schreiben?
Ja, es gefällt mir gut, Autorin zu sein. Ich schreibe auch zur Zeit weiter. Mal sehen, was daraus wird. Ich spreche noch nicht so gerne darüber. Ich will mich auf jeden Fall nicht auf dem Erfolg des Buches ausruhen. Aber erst mal werde ich studieren, ab Oktober in Paris an der Sorbonne, Literaturwissenschaften. Ich möchte mein eigenes Geld verdienen können. Das ist im Schriftstellerberuf sehr schwierig. Aber auf jeden Fall möchte ich damit weitermachen, ich hab mein Pulver noch nicht verschossen.
Wie wirkt sich die Veröffentlichung des Romans auf Ihr Leben aus, wie haben die Leute reagiert?
Zuerst einmal war ich selbst sehr verblüfft, dass das Manuskript überhaupt von einem Verlag angenommen wurde. Da aber zwischen Abgabe und Veröffentlichung mehr als ein Jahr verging, hatte ich Zeit genug, mich an die Vorstellung zu gewöhnen. Meinen Eltern und engsten Freunden ging es genauso, die große Überraschung war vorbei. In der Schule ist der Roman bei den Lehrern und Mitschülern manchmal Gesprächsstoff, wir reden darüber ganz normal in den Pausen. Einige haben das Buch gelesen, andere nicht. Niemand findet, dass das Ganze etwas Besonderes ist. Da ich das Glück habe, starken Rückhalt in meiner Familie zu finden, wird mir das alles keinesfalls zu Kopf steigen! Ich habe noch viele andere Interessen, und es gibt vieles, was mir sonst noch wichtig ist.
Seit wann schreiben Sie?
Ungefähr seit meinem achten Lebensjahr. Seltsamerweise habe ich mit elf aufgehört und erst circa drei Jahre später wieder angefangen. Ich brauche das, ich muss meine Geschichten auf dem Papier festhalten und Personen erfinden.